Assistenten auf vier Pfoten
Dogsharing für Menschen mit Behinderung
Was tun, wenn man sich einen Hund wünscht, aber aufgrund einer Krankheit oder Behinderung allein kein Tier halten kann? Der Berliner Verein Hunde für Handicaps e. V. hat für dieses Dilemma eine Lösung entwickelt und das Pilotprojekt wissenschaftlich begleiten lassen: eine neue Variante des Dogsharing – ein Hund mit zwei Haltern.
Anstoß für das Projekt gab ein Berliner mit einer fortschreitenden Erkrankung des Nervensystems. Der Mann sitzt im Rollstuhl, hat oft Schmerzen und fühlt sich zunehmend sozial isoliert. „Ich wünschte mir einen eigenen Hund, der mir Gesellschaft leistet und kleine Dinge für mich tut, wie das Aufheben von heruntergefallenen Dingen“, berichtet der Berliner. „Ich war mir aber nicht sicher, ob ich ihm aufgrund meiner Erkrankung ein Leben lang gerecht werden kann.“ Seine Anfrage und ein persönliches Kennenlernen beim Berliner Verein Hunde für Handicaps, der Assistenzhunde für Menschen mit Behinderung ausbildet, brachte das Projekt ins Rollen: „Aus tierschutzethischen Gründen geben wir ausgebildete Assistenzhunde nur an Menschen mit Behinderungen, die in der Lage sind, den Hund täglich und ein Hundeleben lang verlässlich zu versorgen,“ sagt die Vorstandsvorsitzende Sabine Häcker. „Dennoch konnte uns dieser Mann davon überzeugen, dass ihm ein Hund sehr gut tun würde und er umgekehrt dem Hund im Rahmen seiner Möglichkeiten auch. Deshalb haben wir überlegt, wie wir die Bedürfnisse von Mensch und Hund unter einen Hut bringen können.“
Othello zieht in zwei Haushalte ein
Die Idee des Dogsharing lag also auf der Hand. „Dogsharing ist ein vorerst einmaliges, ergänzendes Konzept zu unseren üblichen Mensch-Assistenzhund-Teams, die rund um die Uhr zusammen leben“, erklärt Häcker. Im Fall des Berliners im Rollstuhl fand sich ein junges Paar, das sich ebenfalls einen Hund wünschte. Aufgrund von Vollzeitarbeitsstellen hätten sie diesen aber tagsüber nicht versorgen können.
Mit dem Einzug des vierjährigen Labrador Retrievers Othello in die beiden Berliner Haushalte startete im August 2017 das Pilotprojekt, das von der AOK – Die Gesundheitskasse gefördert wurde. Das Tier und sein Wohlergehen standen dabei für alle Beteiligten im Mittelpunkt: Der Dogsharing-Partner mit Behinderung hat den Rüden tagsüber bei sich und profitiert von kleinen Hilfeleistungen wie Apportieren sowie dem Anreiz, das Haus mit Othello zu verlassen. „Seitdem Othello tagsüber bei mir ist, komme ich öfter vor die Tür und habe mehr Kontakt zu anderen Menschen“, berichtet der Berliner. „Außerdem bin ich nicht allein und muss nicht ständig Nachbarn um Hilfe bitten, wenn mir beispielsweise etwas Wichtiges herunterfällt. Mein Leben ist trotz Fortschreiten meiner Erkrankung viel lebenswerter als ohne Hund.“ Das Paar bringt den Hund morgens und holt ihn abends wieder ab, sorgt für weiteren Auslauf und Auslastung und verbringt nach Absprache auch die meisten Wochenenden oder gemeinsame Urlaube mit Othello: „Wir freuen uns, Teil dieses Projekts sein zu dürfen, denn dadurch konnten wir uns unseren langgehegten Wunsch nach einem Familienhund erfüllen. Othello bereichert unseren Alltag und ist ein treuer Begleiter in allen Lebenslagen.“
Wissenschaftliche Begleitung des Pilotprojekts
„Das Fazit unserer Fallstudie ist sehr positiv“, sagt Häcker. „Zwei Parteien können dank Dogsharing einen Hund halten, obwohl es ihnen allein nicht möglich wäre. Zudem ist durch die regelmäßig erforderlichen Absprachen ein zwischenmenschlicher Kontakt entstanden, den es ohne den Hund wohl nie gegeben hätte. Auch für den Hund fällt die Bilanz positiv aus, denn er kann sich von allen Bezugspersonen das holen, was ihm am meisten Spaß bringt und ist so gut wie nie allein. Das ist wie in einer Familie: Da übernehmen die unterschiedlichen Familienmitglieder auch unterschiedliche Aktivitäten mit dem Hund. Die Kinder spielen und toben, von den Erwachsenen übernimmt jemand die frühen und die späten Runden und so weiter.“
Auch die wissenschaftliche Begleitung durch Dr. Josephine B. Schmitt, Psychologin der Ludwig-Maximilians-Universität München und Friederike Schmitt, staatlich anerkannte Physiotherapeutin, belegt die positiven Effekte des Modells: Mehrere leitfadengestützte Interviews, eine gängige Methode in der sozialwissenschaftlichen Evaluationsforschung, während unterschiedlichen Phasen des Projektes zeigten Verbesserungen hinsichtlich der Lebenszufriedenheit, des Wohlbefindens sowie der Selbstwirksamkeit bei beiden Dogsharing-Parteien. Bei dem körperlich eingeschränkten Mann ergaben Bewegungstests zudem, dass er durch den Umgang mit dem Hund innerhalb eines Jahres deutlich beweglicher geworden war – obwohl er in dieser Zeit einige Krankheitsschübe erlebte. Die körperlichen Verbesserungen sind vermutlich auf die erhöhten Anforderungen des Hundes an den Halter im Rollstuhl zurückzuführen. So wird der Halter durch die Interaktion mit dem Hund motiviert, feinmotorische Bewegungen auszuführen – beispielsweise Anleinen, Spielen, Streicheln – die er sonst nicht vollziehen würde.
„Das Projekt macht deutlich, dass das Dogsharing durchaus ein vielversprechendes Konzept darstellt“, schlussfolgert Dr. Josephine B. Schmitt. „Es erfordert jedoch viel Sensibilität, Kompromissbereitschaft und Kommunikation von allen beteiligten Seiten.“