Ich bin im August 1939 in Berlin geboren und wohnte damals in der Stralsunder Str. 43. Ich kann mich erinnern, dass wir bei Bombenangriffen in den Humboldbunker gingen. Es war wie eine Völkerwanderung. Mutti schob den Kinderwagen mit meiner Schwester (geb. 1943) und sagte zu mir, ich soll nicht stolpern und hinfallen, dann würde ich tot getrampelt werden. Einmal gingen wir einen anderen Weg und ich fragte warum. Meine Mutter sagte nur bis zum Humboldbunker schaffen wir es nicht, wir müssen in die Bernauer Str. in einen kleinen Bunker. Ich musste auch immer meine Sachen, die ich abends auszog ganz ordentlich übereinander auf den Stuhl legen, wenn Alarm kam musste es ganz schnell mit Anziehen gehen. Einmal war dann auch Alarm und wir mussten ganz schnell in den Hauskeller gehen. Dann saßen wir alle da unten und lauschten. Nach einer Weile wackelten die Wände und wir bekamen Angst. Einige sagten jetzt ist unser Haus eingestürzt. Als alles ruhig blieb und Entwarnung kam, hat einer die Tür nach oben aufgemacht und festgestellt unser Haus steht noch, es war das Nachbarhaus. Ich kann es gar nicht beschreiben, wie sich alle um den Hals gefallen sind und riefen „wir leben noch“. Dabei sind auch Freudentränen geflossen. Danach sind wir irgendwie raus aus Berlin nach Schlesien zu meinen Großeltern, die ein großes Gut mit Tieren und Konditorei besaßen. Als die Russen kamen, mussten wir weg, mit Pferdekutsche zum Bahnhof. Ich habe mich immer umgesehen und wollte mir den Weg merken, aber meine Oma sagte nur, schau nicht zurück, hier kommst du doch nicht wieder hin. Von den Pferden musste ich mich dann auch verabschieden, die ließen wir einfach am Bahnhof stehen. Vorher aber hatten die Erwachsenen alles Silber und Wertvolle in Kisten gepackt und im Ziegenstall vergraben. Mit dem Zug, der überall voll war, ging es dann bis nach Thüringen. Dort haben uns verschiedene Familien aufgenommen. Wir blieben bis Kriegsende, aber vorher hieß es noch mal die Russen kommen. Die Bauern haben die Straßen versperrt, aber es half nichts. Dann wurden wir von einem Freund der Familie wieder (mit dem Zug) nach Berlin geholt. Zu Hause angekommen haben wir festgestellt, das Geschäft meines Vaters war ausgeplündert und zertrümmert worden. Mein Vater kam dann aus dem Krieg zurück und meine Freude war riesengroß. Er bekam Bratkartoffeln und ich auf seinem Schoß und mitgegessen. Es waren die Besten die es je gab. Ich hatte Alpträume und war immer ängstlich, denn der Satz „die Russen kommen“ war immer in meinem Kopf. B.R.
Zeitzeuge: Ich bin im August 1939 in Berlin geboren …
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1 Kommentar
Ich lese immer sehr gerne die Dorfzeitung, bin jahrgang 1962 also noch ein junges Kücken . Ich möchte sehr gerne etwas zu dem Thema Zeitzeugen sagen. Ich war so bewegt bei der Geschichte von Der Dame oder den Herrn der August 1939 geboren war. Nur zu bedenken was Er oder Sie als kleines Kind durch gemacht hat. Die Angst und ich nehme mal an das die Angst bis zum heutigen Tag anhält. Ich wurde gross bei meiner Oma in Berlin Staaken. Auch Sie erzählte mir schon als kleines Kind wie es dann im Kriege war. Sie war jahrgang 1911. Aber in Ihren Fall waren es die Mongolen vor dem hatte Sie immer grosse Angst. Als kleines Kind hört man sich die Geschichten an, aber erst viel später wenn man selbst Erwachsen ist kommt der ganze terro zum Bewusst sein.
Mit freundlichen grüßen
Monika Morgan