Man lernt fürs Leben, nicht für die Schule. Am Campus Hannah Höch werden die Schülerinnen fit für die Zeit nach der Schule gemacht. Doch manchen Jugendlichen muss dabei besonders kräftig unter die Arme gegriffen werden. Deshalb unterstützen sogenannte Fellows das pädagogische Personal der Mittelstufe an der Reinickendorfer Gemeinschaftsschule. Fellows sind meist junge Menschen mit Hochschulabschluss und ersten Berufserfahrungen, die sich jeweils zwei Jahre lang an Schulen mit herausforderndem Umfeld für mehr Bildungsgerechtigkeit einsetzen. Sie helfen Schülerinnen vor allem bei den Vorbereitungen für den Berufseinstieg oder für den Wechsel an eine weiterführende Schule. Dafür werden sie von der Bildungsinitiative Teach First Deutschland ausgewählt und mehrere Wochen lang in Didaktik-Themen geschult. Außerdem bringen sie bei ihrer Arbeit die Erfahrungen und Fähigkeiten ein, die sie außerhalb der Schule gesammelt haben.
Vincent Halang ist einer von ihnen und bereits seit anderthalb Jahren am Campus Hannah Höch tätig. Er ist ausgebildeter Journalist und arbeitete in einer Redaktion für Nachhaltigkeitsthemen, als er sich entschied, sich bei Teach First Deutschland als Fellow zu bewerben. „Wenn man sich darauf einlässt, ist das eine coole Stelle“, berichtet er. „Es ist eine gute Möglichkeit, sich selbst auszuprobieren, und es ist ein sinnvoller Job: Wir Fellows bewirken etwas mit unserer Arbeit.“ Fellows treten an den Schulen weder als Lehrerinnen, noch als Kumpel der Schülerinnen auf, sondern finden im Bereich dazwischen ihre Rolle. Ein wichtiger Teil ihrer Arbeit sind Bewerbungs-Coachings, ihr Aufgabenumfang geht aber darüber hinaus: Sie unterstützen die Pädagoginnen im Unterricht, bereiten Projekte vor und leiten AGs. Außerdem kümmern sie sich um sogenannte Fokusschülerinnen, die ihre Kompetenzen stärken oder in der Schule nicht den Anschluss verlieren wollen. Fellows vermitteln auch in Konflikten und sorgen in Einzelgesprächen für eine emotionale Entlastung der Schülerinnen, damit diese den Kopf für Lerninhalte freibekommen. Indem sie generell bestehende Strukturen und Regeln an der Schule durchsetzen, halten die Fellows den Lehrerinnen den Rücken etwas frei. Halang genießt den Freiraum seiner Rolle am Campus. „Ich bin hier unabhängiger als Lehrkräfte“, erzählt er. „Ich kann mit der Leitung Fächer und AGs aussuchen und freier gestalten und muss keine Leistungsbewertungen vornehmen.“ Er bietet beispielsweise in diesem Schuljahr eine Selbstverteidigungs-AG an, im vergangenen Jahr machte er eine zur Stärkung der Medienkompetenz.
Derzeit gibt es in Deutschland knapp über 160 aktive Fellows von Teach First, die an 127 Partnerschulen im Bundesgebiet arbeiten. An Partnerschulen in der Region Berlin, wo das Programm 2009 mit startete, arbeiten zurzeit 47 Fellows – fünf davon allein am Campus Hannah Höch: 2 in der 10. Jahrgangsstufe, drei in der 9. Jahrgangsstufe. Die am Märkischen Viertel gelegene Gemeinschaftsschule ist die bislang einzige Schule in Reinickendorf, die mit Fellows zusammenarbeitet. Dass sich Halang und die anderen vier Fellows trotz des Sprungs ins kalte Wasser gut am Campus Hannah Höch eingewöhnt haben, liegt sicherlich an ihrer Motivation, aber auch an der Erfahrung des regulären Schulpersonals mit multiprofessionellen Teams. Mehrere Quereinsteigerinnen gehören dem Kollegium an, es gibt eine hervorragende Schulsozialarbeit durch Aufwind e.V., und das Team der Berufs- und Studienorientierung (BSO) arbeitet mit Partnern aus der Wirtschaft und mit Oberstufenzentren zusammen. Mit dem BSO-Team der Schule, die im vergangenen Oktober von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie mit dem „Qualitätssiegel Berlin für exzellente berufliche Orientierung“ ausgezeichnet wurde, arbeiten die Fellows mit am engsten zusammen. „Durch die gute Arbeit der Schulsozialarbeit am Campus macht hier die Hilfe bei der Berufsorientierung einen Großteil unserer Arbeit aus“, berichtet Halang.
Überzeugungstäter gesucht „Ich merke, die Schülerinnen sind froh über unser Angebot, sie in vielerlei Dingen zu unterstützen“, berichtet der 29-Jährige. „Und auch das Feedback von Schulleitung und Kollegium am Campus ist super.“ Schulleiterin Viola Ristow hält die Dienste der Fellows für so wertvoll, dass sie sich nach dem ersten Erfahrungsjahr mit zwei Fellows am Campus gleich für weitere einsetzte. „Die Fellows sind eine tolle Unterstützung an unserer Schule“, sagt Ristow. „Sie haben nochmal einen anderen Zugang zu den Schülerinnen als die Lehrkräfte und ergänzen so unser vielfältiges Bildungsangebot hervorragend.“ Sie hofft, dass ihre Gemeinschaftsschule auch in den kommenden Jahren auf so viele Fellows bauen kann. Theoretisch wären jetzt sogar sechs Fellows an einer Schule möglich. Das geeignete Umfeld bietet sie. „Der Campus Hannah Höch passt mit seinem Schulprofil, der Mehrzügigkeit der Lerngruppen und den Einsatzmöglichkeiten der Fellows sehr gut zu unserem Angebot“, erklärt Oliver Keinath, Manager bei Teach First Deutschland für die Region Berlin. „Und wir spüren, dass hier die Unterstützung des Programms durch die Schulleitung sehr groß ist.“ Die richtige Motivation ist neben einem Hochschulabschluss mit guten Abschlussnoten das entscheidende Kriterium, um Fellow bei Teach First Deutschland zu werden. „Nur Überzeugungstäterinnen machen den Job richtig“, weiß Keinath. „Wir wollen sehen, dass die Bewerberinnen sich schon vorher mit dem Thema der Bildungsgerechtigkeit beschäftigt und ein positives Bild von den betreffenden Schülerinnen und Schulen sowie
ihren kommenden Aufgaben haben.“ Bestenfalls hätten die Kandidatinnen auch einen persönlichen Bezug zu solchen Schulen oder verfügten bereits über Erfahrungen in einem solchen herausforderndem Umfeld. Wer das alles mitbringt, durchläuft ein komplexes, mehrstufiges Bewerbungssystem. Eine Altersgrenze für Bewerberinnen gibt es nicht.
Interessierte Schulen bewerben sich für die Teilnahme am Fellow-Programm, worauf sich Mitarbeiterinnen der Bildungsinitiative die Schulen anschauen und die Einsatzbedingungen für Fellows abklären. Die Entscheidung für einen Fellow-Einsatz erfolgt dann in enger Abstimmung mit der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie sowie den Personalvertretungen der Bezirke. Einer der Knackpunkte ist, ob die Schulen einen besonders hohen Förderbedarf haben oder nicht.
Fellows bleiben der Idee von Teach First verhaftet Und was haben Vincent Halang und seine Mitstreiterinnen von ihrer zweijährigen Arbeit an den Schulen? Einerseits das befriedigende Gefühl, sich nach ihrem eigenen Bildungserfolg sozial zu engagieren und so der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Sie profitieren als Fellows aber auch von Fortbildungen, die ihnen später in ihrem weiteren Berufsleben helfen können – etwa in Projektmanagement. Alle ehemaligen Fellows bleiben zudem Teil eines mittlerweile über 700 Alumni umfassenden Netzwerks, das das Ziel der Initiative weiter unterstützt: „Alle Kinder und Jugendliche erfahren unabhängig von ihren Startbedingungen eine gute Bildung.“
Manchen der Fellows gefällt es im Schulbetrieb so gut, dass sie im Anschluss den Quereinstieg als Lehrer*in wagen. Halang allerdings wechselt nach seiner Zeit als Fellow in den Kommunikationsbereich.
Björn Brodersen, Campus Hannah Höch, Presse und Öffentlichkeitsarbeit