Die Schulband
Könnt Ihr euch noch erinnern? – Die fünfziger Jahre: Caterina Valente, Peter Alexander und so weiter. Wir saßen in jeder freien Minute vor den alten aufgebesserten Rundfunkempfängern und hörten die Schlager aus dem „Westen“. Cowboylieder, Schnulzen vom Feinsten und neue Rhythmen aus Übersee waren für uns eine willkommene Abwechslung aus einer fremden, für uns nicht erreichbaren Welt. Auf dem Schulhof in den großen Pausen sangen Gruppen verhalten einige im Gedächtnis haften gebliebene Lieder: „Brennend heißer Wüstensand, so schön war die Zeit, so schön …“ oder „Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand.“ Die ersten Musikfilme kamen in die DDR, so unter anderem auch „Bonjour Kathrin“ mit Caterina Valente. Die Karten waren immer sofort ausverkauft, für uns war das aber kein Problem. Ali und ich hatten uns für den Hintereingang des Kinos einen Schlüssel gefeilt. Wenn der Andrang für einen guten Film sehr groß war, mussten wir uns etwas vorsichtiger bewegen. Der Platzanweiser wurde mit Zigaretten bestochen, damit wir ohne Karten auf den Stufen des Ranges sitzen durften.
In unserer Familie war diese Art von Musik kein Thema. Es gab nur klassische Musik, die ich auch gerne mochte, aber „Tom Dudi“ war eben auch da. Zu dieser Zeit kamen viele neue Rhythmen aus Kuba, Jamaika und Mexiko. Wir waren begeistert, trotz aller Klassik. In meiner Familie war eine Musikerziehung zur klassischen und barocken Seite festgelegt. Eines Tages hatte ich mir voller Begeisterung und ohne Rücksicht auf die strenge Musikerziehung von meinem „üppigen“ Taschengeld Rumbakugeln gekauft. Zu Hause angekommen, schaltete ich einen Westsender ein und ab ging die Post!
Ich arbeitete so intensiv mit den neuen „Instrumenten“, dass bald die wertvollen Deckenleuchten hinüber waren. Das merkte die Familie erst am Abend. (Kein weiterer Kommentar.) Doch je mehr Widerstand, umso größer meine Aktivität.
Ich hatte schon erzählt, dass mein Vater mir beim Weidenflötenspiel 1945 auf der Flucht eine große musikalische Zukunft in Aussicht gestellt hatte. Der Geigenunterricht, der mit Hilfe von Care-Paketen bezahlt wurde (und das bei meinem ständigen Hunger), war ausgezeichnet. Trotz meiner geringen Übungsintensität kam ich erstaunlich gut voran. Nach drei Jahren versiegten die Paketsendungen und damit auch der Musikunterricht. Immerhin hatte ich auf einem viersaitigen Instrument die Grundbegriffe gelernt und konnte darauf aufbauen. Ich hatte eine alte Kindergitarre erstanden und diese auf meine vier Saiten eingestimmt. Zwei Saiten waren oktav lahmgelegt.
Auf dem Schulhof, in den Ferienlagern und zu Hause wurden von nun an die armen Saiten strapaziert. „In the mood“ wurde immer wieder gewünscht und gesungen. Eines Tages sprach ich mit zwei Schülern, die angeblich Akkordeon spielen konnten, die Zwillingsbrüder aus der B-Klasse. Von dieser Aktion hörte ein begabter Sänger, der ebenfalls interessiert war. So kam eines Tages die erste große Probe bei Freunden zustande. Wir waren voll begeistert von uns, zum Glück hatte niemand zugehört. Die beiden Akkordeons waren aufeinander so gut abgestimmt, dass nichts mehr schiefgehen konnte. Der Sänger kannte alle Texte und begeisterte uns mit seinen Rumbakugeln, Rasseln und seinen „Mambo!“-Rufen. Ich sorgte mit meinem Eigenbau (Geige mit Bunden und Verstärker) oder mit der alten Kindergitarre für einen nie wieder zu erreichenden Sound. Hinzu kam ein Schlagzeug, das ebenfalls heute seinesgleichen sucht. Aus finanziellen Gründen kauften wir einzelne Schlagwerke, die schon ausrangiert waren.
Die Begeisterung war Inhalt unserer Musik, die wir zunächst nur für uns machten. Die kleine Band war etwas exotisch, aber durchaus musikalisch und für die jugendliche Seele genau das Richtige in dieser Zeit.
Jürgen Zils
Jahrgang 37 erzählt
Erinnerungen aus Mecklenburg-Vorpommern
228 Seiten, viele Abbildungen (zum Teil farbig),
Sammlung der Zeitzeugen (82),
Zeitgut Verlag, Berlin. www.zeitgut.de
Broschur.
ISBN: 978-3-86614-256-5, Euro 16,90