Gemüseanbau auf Rieselfeldern verboten – warum?
Im Juliheft der Dorfzeitung 2011 hatte ich über das Verbot des Gemüseanbaues auf Rieselfeldern von 1969 berichtet. Für die Landnutzer, auch die Pächter auf der Elisabethaue, war das ein großer finanzieller Schaden, weil sie vorwiegend von den Einnahmen des Gemüsebaues sowie dem Milch- und Fleischverkauf aus den Abmelkwirtschaften leben mussten. Dass das wissenschaftlich begründete Verbot nicht auf Verständnis stieß, konnte ich nahezu 50 Jahre später an den Reaktionen der ehemaligen Beschäftigten des Gutes Blankenfelde erkennen. Mit vor Begeisterung glänzenden Augen zeigten sie mit beiden Händen die nahezu kinderkopfgroßen Kohlrabi und schwärmten von dem schmackhaften frischen Gemüse von den Rieselfeldern. Ein ehemaliger Transportfahrer des Gutes berichtete mit Stolz, dass er frische Möhren auf dem Feld am Rieselgras „gereinigt“ und mit Appetit verzehrt hat. „Wir und auch unsere Eltern sind doch nicht krank geworden“, versicherten die lebensfrohen über 70 Jährigen. Heute kann man die Ursachen für das Verbot und die Reaktionen der Hygiene besser erklären. Die verbreitete Meinung: „Ursache: Schwermetalle“ ist falsch , da die wissenschaftliche Schwermetallforschung auf diesem Gebiet erst ab den 70er Jahren in der deutschsprachigen Literatur vorgestellt wurde. Fäkalcoliforme Keime (Darmbakterien oder Coli) waren mit dem Abwasser und dem als Dünger verwendeten Klärschlamm aus der Stadt über ein Rohr- und Grabensystem geleitet und auf den Flächen verrieselt worden. Mit dem Gemüse kamen die Erreger in die Stadt zurück. Diese Bakterien sind 30, bei feuchtwarmer Witterung bis zu 120 Tagen auf dem Boden und auf den Pflanzen überlebensfähig. Das feuchtegewohnte Gemüse über Wochen durch verlängerte Karenzzeiten (Nichtanwendungszeiten) nicht zu berieseln, hat zu hohen Qualitäts – und Ertragseinbußen geführt. Im Verdauungstrakt des Menschen sind in Abhängigkeit von den Verzehr- und Lebensgewohnheiten zwischen 500 und 1000 verschiedene Mikroben mit dem Abbau der Nahrung beschäftigt. In der Darmflora der Menschen im Rieselfeldgebiet haben sich spezielle Bakterien, aber auch Antagonisten ausgebildet, die sich an die Colibakterien anhängen und diese zum Absterben bringen. Bei Stadtbewohnern mit besseren hygienischen Voraussetzungen haben sich diese natürlichen Killerbakterien nicht in ausreichendem Maße entwickeln können, so dass die Konsumenten häufiger erkrankt sind. Auch bei Kleinkindern haben sich in der Darmflora diese Antagonisten noch nicht aufbauen können. Magen- Darmerkrankungen wurden in den Krankenhäusern der Stadt als Folge des Verzehrs von frischem, d.h. rohem, coliinfiziertem Rieselfeldgemüse erkannt. Da die Kindersterblichkeit in dieser Zeit ohnehin höher war, ist die Ursache nicht gleich ermittelt worden. Durch Einstellung der Abwasserverrieselung und verbesserte hygienische Bedingungen vom Anfallort bis zu den Kläranlagen wird die Erregerkette weitgehend unterbrochen. Auch in Berlin-Pankow sind heute noch etwa 3000 Grundstücke nicht an das öffentliche Abwassernetz angeschlossen. Mit abgedichteten Fäkalgruben und deren kontrollierter Entleerung wird der Eintrag von Colibakterien in die Nahrungskette unterbunden. Die Verantwortung der Entsorgungsbetriebe aber auch von privaten Kleinerzeugern mit eigenen Klärgruben ist gewachsen, weil mit steigenden Hygienestandards die natürliche Widerstandskraft des Menschen geringer wird. Mikroorganismen kann man nicht sehen, nicht riechen und nicht schmecken, aber sie wirken. Fäkalien aus eigenen Klärgruben dürfen unbehandelt nicht im Freiland ausgebracht und als „Dünger“ eingesetzt werden. Der Gemüseanbau bleibt auch noch nach über 50 Jahren auf ehemaligen Rieselfeldern wegen nicht abbaubarer Belastungen verboten. Dazu später.
Autor: Prof. R. Metz