Im Juni 1938 bin ich in Dresden geboren, meine Schwester 1942 ebenda. Mein Vater, geboren 1895, hatte im 1.Weltkrieg in russischer Gefangenschaft in Sibirien sowohl Russisch gelernt, als auch – mithilfe dieser Kenntnisse und einiger „Ersparnisse aus der Verwaltung sibirischer Holzeinschläge“ – sich eigenständig Richtung Deutschland „abgemeldet“. Dort wurden die Russisch-Kenntnisse durch eine offizielle Übersetzerprüfung „geadelt“. Allerdings wurde er trotz seines Alters noch einmal kurzfristig eingezogen und militärisch auf die Krim beordert zur Entschlüsselung russischer Funksprüche.
Als nun im April 1945 die Russische Armee sich dem inzwischen komplett zerbombten Dresden näherte ( wir waren rechtzeitig nach Freital-Burgk umgezogen) baute mein Vater unseren geräumigen spitzgiebeligen Dachboden an einem Ende mittels einer Bretterwand zu einem Schutzraum für die Frauen des Hauses um. Mutter, unsere Mieterinnen und die alte Tante wurden dort während der wildesten Phase eingeschlossen. Nachts wurden Bretter zur Ver- und Entsorgung entfernt und wieder befestigt. Der Einmarsch der Russischen Armee – downhill von Dresden Gittersee Richtung Freital über die Burgker Straße – ging unmittelbar an unserem Hause vorbei. Dort – nicht zu übersehen – hatte mein Vater ein hölzernes Schild aufgestellt, auf dem in Russischer Sprache und Kyrillischer Schrift zu lesen war (sinngemäß): „Herzlich willkommen!“ Bald darauf hatten wir das Offizierskorps und den Russischen Stadtkommandanten von Freital im Haus, u.a. zur Feier der Kapitulation! Ich selbst durfte ein bißchen teilnehmen und vor den Offizieren ein Gedicht in Russisch vortragen, das mir väterlicherseits antrainiert worden war.
Bevor die Russen kamen – etwa Anfang März 1945 – gab es nach der kompletten Zerstörung von Dresden einzelne westallierte Heeresflieger, die mit maschinellen Bordwaffen Jagd auf einzelne deutsche Zivilisten machten. Unvergesslich bleibt mir ein Angriff ausschleßlich auf mich selbst, der ich mich – trotz Fliegerwarnung – auf einem frisch und tief gepflügten Felde, in einer Furche talabwärts stapfend, bewegte. Von der hinteren Anhöhe verfehlte mich der erste Maschinelle Kugelhagel um etwa zwei Furchen. Ich blieb cool, drehte um 90 Grad, um ein Wäldchen in der Nähe zu erreichen. Der Flieger wendete vor der Weißeritz und schoß nun – paralell zur ersten Garbe – eine zweite, die mich wiederum um einige Zentimeter verfehlte. Und – der Leser ahnt es – der kriegerische alliierte Kinderjäger wendet erneut, diesmal wieder oben, und probiert ein drittes Mal den sechsjährigen deutschen Nachwuchs abzuschießen.
Mit freundlichen Grüßen A.M.
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