Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Müller,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
der vor allem von der Berliner FDP betriebene Volksentscheid zum Flughafen Tegel hatte zum Ergebnis, dass 56,4% der teilnehmenden Wahlberechtigten mit „Ja“ und 41,7% mit „Nein“ gestimmt haben.
Das müssen wir – auch als unmittelbar Betroffene – so zur Kenntnis nehmen. Es lohnt sich jedoch für alle, insbesondere aber für Sie, bei der Bewertung des Ergebnisses genauer hinzuschauen.
Nach dem amtlichen Endergebnis gab es 994.916 Ja-Stimmen und 738.024 Nein-Stimmen. Es gibt ca. 300.000 Menschen, die von gesundheitsschädigendem Lärm und Abgasen aus dem Flugbetrieb in Tegel betroffen sind, von denen aber weniger als 200.000 wahlberechtigt sind. Das heißt, über 535.000 nicht unmittelbar betroffene Menschen haben mit Nein gestimmt! Auch diese Stimmen dürfen, neben denen der unmittelbar Betroffenen, nicht einfach ignoriert werden.
Die FDP, gefolgt von AfD und CDU und ihren Unterstützern in den Medien, werten jetzt das Ergebnis des Volksentscheids nach dem Motto „The Winner takes it all“. Sie tun so, als wenn aus der unverbindlichen Aufforderung an den Senat – denn einen Gesetzesentwurf gab es ja wohlweislich nicht – nun doch eine verbindliche Vorgabe zum Handeln, quasi eine Gesetzesvorlage geworden sei, der der Senat zu folgen hat.
Das ist aber nicht richtig.
Wie wir alle aus Analysen und Berichten wissen, speisen sich die 56,4% Ja-Stimmen aus einer Vielzahl von Motiven. Noch immer liegt kein verbindlicher Termin zur Eröffnung des BER vor. Die falsche Behauptung, der BER sei zu klein, hat sich durch ständige Wiederholung in der öffentlichen Wahrnehmung festgesetzt. Mieterhöhungen im Umfeld des alten Flughafens werden befürchtet.
Auch die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen am Flughafen spielte bei der Stimmabgabe eine Rolle. Das Konzept zur Nachnutzung des Areals am Flughafen Tegel ist den meisten Menschen bis heute kaum bekannt. Nicht zuletzt verbinden viele Menschen im Westteil der Stadt mit TXL viel Nostalgie. Vor allem aber ist die Bequemlichkeit vieler ein entscheidendes Motiv gewesen, für die Offenhaltung von TXL zu stimmen.
Die „Tegel-Retter“ suggerieren, dass eine Mehrheit sich über das Schutzbedürfnis einer Minderheit von 300.000 Einwohnern per „Volksentscheid“ hinwegsetzen kann. Es ist jedoch Aufgabe des Staates und der politischen Entscheidungsträger, diese Menschen als die ihnen anvertrauten Schutzbefohlenen vor Beeinträchtigungen ihrer körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit zu schützen. Der Senat und das Abgeordnetenhaus haben die Pflicht, diesen politisch-moralischen Aspekt bei den nun aus dem Volksentscheid zu ziehenden Schlussfolgerungen in den Vordergrund zu stellen.
Bei öffentlichen Planungsentscheidungen können die Betroffenen sogar einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf körperliche Unversehrtheit ableiten. Dazu dienen die in Deutschland geltenden Verfahren im Rahmen der Landesplanung und Bauleitplanung, die im Abwägungsprozess genau diese Rechte sichern sollen.
Auch Lärmschutzmaßnahmen in und an Gebäuden können diese Rechte nicht außer Kraft setzen, da zu Wohnungen auch Balkone und Gärten sowie öffentliche Räume gehören. Darüber hinaus befinden sich im Einzugs- und Lärmbereich des Flughafens zahlreiche Krankenhäuser, Kindertagesstätten und Schulen.
Deshalb erwächst aus dem Ergebnis zum Volksentscheid für den Senat und die Regierungskoalition das klare Mandat, selbstbewusst und offen auf Volkes Stimme einzugehen – nicht nur der Freunde des alten Flughafens, sondern auch derjenigen, die aus unmittelbarer Betroffenheit und aus Überzeugung für die Schließung von Tegel gestimmt haben.
Die im Bündnis „Tegelschliessen-Zukunftöffnen“ zusammengeschlossenen Bürgerinitiativen werden weiter kämpfen mit dem Ziel, die Schließung des alten Flughafens Tegel zu erreichen. Wir erinnern erneut an den gültigen Konsensbeschluss mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen. In diesem Zusammenhang haben wir mit Befriedigung Ihre Aussage zur Kenntnis genommen, dass Sie die Aufforderung des Volksentscheids für praktisch nicht umsetzbar und in der Sache für falsch halten.
Die FDP, AfD und Teile der CDU in Berlin drängen darauf, die aus ihrer Sicht erforderlichen nächsten Schritte einzuleiten. Deshalb fordern wir vom Senat und der Regierungskoalition, jetzt die Führungsrolle zu übernehmen und zügig einen Fahrplan für die nächsten Schritte vorzulegen.
Unsere Vorstellungen dazu – teilweise bereits im „Fünf-Punkte-Plan“ des Regierenden Bürgermeisters angesprochen – sind folgende:
- Es ist dringend notwendig, Klarheit in der Rechtslage zu schaffen. Alle rechtlichen Risiken und Widersprüche, die sich aus den geforderten Schritten – „Widerruf des Widerrufs“, Kündigung des Vertrags zur gemeinsamen Landesentwicklungsplanung und Änderung des LEP-FS ergeben, sind in aller Deutlichkeit und klar verständlich herauszuarbeiten.
- Es muss endlich kurzfristig ein verbindlicher Termin für die BER-Eröffnung benannt werden -verbunden mit der Aussage, mit welcher Eröffnungskapazität (Stichwort „Double-Roof“-Konzept) dies geschehen wird.
- Vorlage aller relevanten Daten zu den BER-Kapazitäten und den Ausbauplänen (auch der Potenziale). Hiermit verbunden muss ein aktualisiertes, nach ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten ausgerichtetes Luftverkehrskonzept für die Region entwickelt werden.
- Ermittlung und Darstellung der Gesamtkosten eines Weiterbetriebs von Tegel unter Berücksichtigung aller notwendigen Investitionen für die Sanierung, die Anbindung an den Öffentlichen Nahverkehr und insbesondere für den Lärmschutz.
- Dazu ist die Vorlage einer neuen Lärmkarte als Basis für eine realistische Kostenschätzung für die Lärmschutzmaßnahmen nach den gleichen Kriterien wie am BER erforderlich.
- Eine Aussage über die Konsequenzen für die Flugrouten, falls BER und TXL parallel betrieben werden sollen – mit Stellungnahmen der Deutschen Flugsicherung (DFS) und des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung (BAF).
- Breite Darstellung und Erläuterung des vorliegenden Nachnutzungskonzepts zum Tegel-Areal und seiner Umgebung (Integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept) mit seinen positiven Auswirkungen für alle Berliner Bürger, insbesondere dem Mieterschutz.
Die Bürgerinitiativen erwarten die zügige Umsetzung dieses Maßnahmenkatalogs. Wir
werden den Prozess aktiv und kritisch begleiten und bieten unsere Unterstützung an.
Außerdem werden wir Initiativen entwickeln, um die nachfolgenden Ziele kurzfristig zu
erreichen:
- Für die Dauer des bis zur Eröffnung des BER notwendigen Weiterbetriebs des TXL soll eine Vorgabe an die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz ergehen – mit dem Ziel einer äußerst restriktiven Handhabung der Ausnahmegenehmigungen für den Flugbetrieb nach 23:00 Uhr und mit einer strengeren Überprüfung der Begründungen. Die geplanten Flugbewegungen mit Jumbo Jets setzen hierzu das völlig falsche Signal und sind ein Hohn für die TXL Anwohner.
- Für alle von der FBB betriebenen Flughäfen muss die Entgeltordnung ohne Ausnahme für alle Fluggesellschaften durchgesetzt werden. Die Vereinbarungen zu eingeräumten Rabatten bei den Entgelten sind zum nächstmöglichen Termin zu kündigen. Insbesondere die Sonderregelungen für die neuen Airlines in TXL müssen sofort beendet werden.
Wenn sich insgesamt jedoch keine klaren Perspektiven für die vom Lärm betroffenen Bürger ergeben, dann werden wir in Erwägung ziehen, als erstes die Lärmschutzmaßnahmen analog zum BER einzufordern und weitere Klagewege zu prüfen.
Die unterzeichnenden Bürgerinitiativen fordern, dass der Berliner Senat, auch in Abwägung des Volksentscheids, den bestehenden Konsensbeschluss weiter verfolgt: Erstens die zügige Fertigstellung und Inbetriebnahme des BER und zweitens die Schließung des Flughafens Tegel spätestens sechs Monate nach dieser Inbetriebnahme.
Mit freundlichem Gruß
Für die Bürgerinitiativen „Tegel endlich schliessen“, „Tegelschliessen-Zukunftöffnen“,
„Goodbye Tegel“, „Danke Tegel. Es reicht“, „BIgegendasLuftkreuz“, „Pankow sagt Nein
zu TXL“, „Himmel über Berlin“, „Einer für Alle“ und „Zukunftswerkstatt-Heinersdorf“
gez. Klaus Dietrich